Die Unabhängigkeit der Justiz ist ein wichtiges Gut. Eine Demokratie ohne unabhängige Rechtsprechung ist nicht möglich.
Der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung der Dienstaufsicht ebenso wie bei der Entwicklung der Rechtsprechung zur Rechtsbeugung der rechtsprechenden Gewalt überlassen, selbst zu definieren, in welchem Bereich sie staatliche Kontrolle für angemessen hält. Das mag vor dem Hintergrund der Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur nachvollziehbar sein, gefährdet aber das Recht, den Rechtsstaat und die Demokratie auf andere Weise.
Die Frage nach der Neutralität der Richter in eigener Sache kann heute zweifelsfrei mit „nein“ beantwortet werden. Aus sozialpsychologisch nahe liegenden Gründen – Richter sind Menschen wie alle anderen, die dazu neigen, Kontrolle, wenn möglich, zu vermeiden, eigene Privilegien zu verteidigen, Kollegen zu schützen, unkontrollierte Macht zu missbrauchen – hat dies dazu geführt, dass die zum Schutze der gerechten Rechtsprechung von der Verfassung garantierte richterliche Unabhängigkeit in hohem Maß als Deckmantel für richterliche Willkür und richterliche Rechtsvergehen missbraucht wird. Auch unter Richtern hackt die eine Krähe der anderen kein Auge aus.
Diese Fehlentwicklung ist seit langem bekannt. Ebenso wie die Notwendigkeit des Schutzes der Bürger und des Rechtsstaates durch Verbesserung der Kontrolle der Richter:
„Natürlich weiß ich, dass es nahezu nichts gibt, was einem Richter bei seiner richterlichen Tätigkeit, also in amtlicher Eigenschaft, nicht erlaubt wäre. Dafür sorgt die dienstgerichtliche Rechtsprechung, die unter Berufung auf die richterliche Unabhängigkeit nahezu alles deckt […]“
(H. Sendler (Präsident BVerwG a.D.): Blüten richterlicher Unabhängigkeit und Verfassungsgerichtsschelte, NJW 1996, 826)
„Richter können insgesamt in einer offenen Gesellschaft wie der unseren nicht besser sein als andere Gruppen, die sich in einem Berufsstand zusammenfinden und ihre Tätigkeit als Job betreiben […]“
(Willi Geiger (Richter des BGH a.D., Richter des BVerfG a.D): Die Rolle des Richters unter den gegenwärtigen Bedingungen unserer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie, in: Deutsche Richterzeitung 9/1982, 324)
“Auch ein Despotismus der Richter ist denkbar und kaum weniger unerträglich als der von Monarchen, Generälen und Bürokraten; „er lässt sich nur dadurch verhindern, dass wirksame Kontrollmaßnahmen gegen richterliche Willkür getroffen werden.” […] Dort wie auch sonst gilt: „Mit der Kontrolle steht und fällt die demokratische Republik.“”
(Rheinstein; Marcic zitiert in: Andreas Voßkuhle (Präsident BVerfG): Rechtsschutz gegen den Richter, München 1993, S. 256)
„Kontrolle ist überall nötig… Auch die Richter sind nur Menschen und wie andere Sterbliche nicht gegen die Versuchungen der unbegrenzten Macht gefeit. Darauf ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, die vor die Schranken der Justiz Gerufenen vor der Willkür der Richterbank zu schützen.“
(Jahrreiß, zitiert in: Andreas Voßkuhle (Präsident BVerfG): Rechtsschutz gegen den Richter, München 1993, S. 274)
Die Kontrolle des Richters verfolgt den gleichen Zweck wie die richterliche Unabhängigkeit: Sie soll die Sachrichtigkeit des richterlichen Entscheidens sicherstellen.